Angst ist eine wichtige und sinnvolle Grundemotion, die dazu dient, uns vor Gefahrenreizen zu warnen und unser Kampf- und Fluchtsystem zu aktivieren. Pathologisch wird es jedoch, wenn es zu übertriebenen, grundlosen oder unrealistischen Angstreaktionen kommt.
Je nach Erscheinungsbild werden in den gängigen Diagnosesystemen verschiedene Angststörungen unterschieden, wie z.B.:
Agoraphobie mit/ohne Panikstörung (Angst vor Orten mit vielen Menschen, wie z.B. Bus/Bahn, öffentliche Plätze, Konzerte)
Soziale Phobie (Angst vor negativen Bewertungen durch andere, z.B. beim Halten eines Vortrags)
Spezifische Phobien (Angst vor z.B. Spinnen, Schlangen, Fliegen, Blut etc.)
Panikstörung (häufige plötzliche Panikattacken)
Generalisierte Angststörung (ständige Sorgen um verschiedene Lebensbereiche, z.B. Krankheitsängste, Existenzängste, berufliche Ängste etc.)
Angststörungen gelten als eine der häufigsten psychischen Erkrankungen, so dass das Risiko einmal im Verlaufe des Lebens an einer Angststörung zu erkranken laut Studien zwischen 14-29 % liegt [1]. Eine Erkrankung ist in jedem Alter möglich, trifft aber deutlich häufiger Frauen als Männer. Es besteht ein erhöhtes Risiko für das gleichzeitige Auftreten mit anderen Angststörungen, Depressionen, somatoformen Störungen und Suchterkrankungen [2].
„Es begann ganz plötzlich beim Autofahren. Auf einmal wurde mit schwindelig, ich bekam Herzrasen, begann zu schwitzen und hatte Angst, einen Herzinfarkt zu bekommen. Ich musste auf dem Seitenstreifen anhalten und rief den Notarzt, der jedoch keine Anzeichen für einen Herzinfarkt feststellen konnte. Auch anschließende Untersuchungen beim Kardiologen blieben ergebnislos. Jeder sagte mir, es bestehe kein Grund zur Sorge, aber ich hatte trotzdem ständig Angst, wieder so eine Panik zu erleben. Daher begann ich anstrengende körperliche Aktivitäten zu vermeiden und immer darauf zu achten, dass theoretisch schnell Hilfe herbeieilen könnte. Im Kino saß ich daher nur noch am Rand, Großveranstaltungen vermied ich ganz. Um meinen Puls im Auge zu behalten, kaufte ich mir einen Pulsmesser.“ (Frau J., 35)
„Schon in der Schule hasste ich Vorträge und mündliche Prüfungen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen war noch nie etwas für mich. Wenn ich z.B. aber ein Referat nicht vermeiden konnte, arbeitete ich Satz für Satz aus, was ich sagen würde und lernte den Vortrag vorher auswendig. Da ich wusste, dass ich in so einer Situation rote Flecken am Hals vor Aufregung bekomme, zog ich zum Referat einen Rollkragenpullover an. Während des Vortrags fühlte ich mich dann ganz furchtbar, mir war schlecht und schwindelig, ich schwitzte, stammelte vor mich hin und krallte mich am Pult fest. Ich war fest davon überzeugt, meine Klassenkameraden würden mich auslachen, sehen wie unbeholfen, dumm und inkompetent ich bin.“ (Herr S., 23)
„Wenn ich zu Hause eine Spinne sehe, fange ich an zu schreien und renne weg. Mein Mann muss diese dann beseitigen. Allein die Vorstellung, wie mich die Spinne anspringen oder auf mich zu rennen könnte, ist unerträglich. Niemals würde ich mit dieser in einem Raum sein können. Da wir am Kanal wohnen, haben wir leider viele von diesen Spinnen. Mein Mann ist schon extrem genervt, immer wieder streiten wir deswegen. Mir ist klar, dass ich total übertrieben reagiere, aber ich kann nichts dagegen tun.“ (Frau L., 25)
„Ich war schon immer eher ein sorgenvoller, ängstlicher Mensch, wie meine Mutter. Ständig kreisen meine Gedanken darum, was alles passieren könnte. Ich vermeide es schon Nachrichten oder einen Krimi zu schauen, da ich dann gleich denke, meine Tochter könnte auf dem Schulweg weggefangen werden oder ein Konzertbesuch könnte gefährlich sein wegen eines Terroranschlags. Auch fühle ich mich schon hypochondrisch, kaum tut es mal irgendwo weh, denke ich gleich, dass ich eine schlimme Krankheit haben könnte. Täglich rufe ich meine Eltern an, um zu hören, ob es diesen auch gut geht. Sind sie oder auch meine Tochter einmal nicht erreichbar, denke ich sofort, dass Ihnen etwas zugestoßen ist und kann mich dann gar nicht beruhigen. Ich bin nur noch angespannt, innerlich getrieben, nervös und schlafe schlecht.
Die Ursachen von Angststörungen scheinen ein komplexes Wechselspiel verschiedener Faktoren zu sein. Dabei interagieren genetisch bedingte Veranlagungen, die sich auch in neurobiologischen Veränderungen (z.B. im Zusammenhang mit dem Neurotransmitter Serotonin) zeigen, gemeinsam mit einer Vielzahl psychosozialer Faktoren (z.B. Kindheitstraumata, belastende Lebensereignisse).
Lerntheoretische Modelle gehen davon aus, dass sich übermäßige Angst als fehlerhafter Lernprozess entwickeln kann; hierzu einige Beispiele:
Bei einer Panikstörung wird angenommen, dass harmlose körperliche Veränderungen, wie z.B. eine Erhöhung des Herzschlags, als schwere körperliche Erkrankung, wie z.B. ein Herzinfarkt, fehlinterpretiert werden, wodurch über den „Teufelskreis der Angst“ weitere Angstsymptome, wie z.B. Schwitzen, Engegefühl in der Brust, Schnappatmung etc. ausgelöst werden, welche wiederum als Bestätigung einer akuten Gefahr missinterpretiert werden. Über diesen Aufschaukelungsprozess kommt es schließlich zum Erleben einer Panikattacke [3].
Werden mehrerer dieser Panikattacken erlebt, beginnen Betroffene nicht selten, zunehmend Situationen zu vermeiden, in denen sie befürchten, dass das Herbeiholen ärztlicher Hilfe schwierig sein könnte, wie z.B. in Menschenmengen im Bus, im Kino oder bei einem Konzert. In diesem Falle spricht man von einer Agoraphobie mit Panikstörung.
Bei einer Sozialen Phobie zeigen Betroffene häufig sehr negative Grundüberzeugungen über sich und wie sie auf andere wirken, welche zugleich als eine Art „kognitiver Filter“ in potenziellen Bewertungssituationen fungieren. Dadurch entsteht eine erhöhte Aufmerksamkeit auf eigene körperliche Symptome und Verhaltensweisen, welche häufig als ungeschickt, dumm, peinlich oder minderwertig eingeschätzt werden, wodurch zugleich jede Bewertungssituation umso bedrohlicher erscheint. Erschwerend hinzu kommt eine retrospektive Fehlbewertung erlebter sozialer Situationen als Misserfolg, infolgedessen noch mehr Ängste vor zukünftigen sozialen Situationen entstehen. In der Folge entwickeln Betroffene häufig ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten und ziehen sich sehr zurück [4].
Das zentrale Symptom einer Generalisierten Angststörung stellen Sorgen dar, welche durch eine Fehlinterpretation verschiedener innerer und äußerer Reize als bedrohlich, ausgelöst werden. Die Sorgen werden zusätzlich intensiviert und aufrechterhalten, da viele Betroffene ihre Bewältigungskompetenzen gering einschätzen und dem Prozess des Sorgens positive Metakognitionen (z.B. „wenn ich mir Sorgen mache, bin ich besser vorbereitet“) sowie negative Metakognitionen (z.B. „ich bin meinen Sorgen hilflos ausgeliefert“) zuschreiben [5].
Es besteht zahlreiche Evidenz für die Wirksamkeit der Kognitiven Verhaltenstherapie bei v.a. Panikstörung/Agoraphobie, Sozialer Phobie, Spezifischen Phobien und Generalisierter Angststörung [6][7][8][9]. Leitliniengemäß soll Betroffenen parallel zu einer Psychotherapie (außer bei einer Spezifischen Phobie) eine Pharmakotherapie mit z.B. Selektiven-Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (kurz: SSRIs) angeboten werden [10].
Typische Bestandteile der Psychotherapie können sein:
Psychoedukation = Wissenserwerb zu Symptomen, der Entstehung sowie den aufrechterhaltenden Mechanismen der Angststörung
Verhaltens- und Situationsanalysen
Kognitive Techniken = z.B. Realitätsprüfung/Verhaltensexperimente, Entkatastrophisieren, Umgang mit Metagedanken
Interozeptive Exposition (= bewusstes Provozieren von körperlichen Symptomen, wie z.B. Herzklopfen), um zu erkennen, dass als bedrohlich eingeschätzte körperliche Symptome unbedenklich sind (z.B. bei der Panikstörung)
Abbau von Sicherheits- und Vermeidungsverhalten
In-vivo-Expositionen = reale Konfrontation mit gefürchteten Reizen, um die Erfahrung machen zu können, dass Befürchtungen nicht eintreten
In-sensu-Expositionen = imaginative Konfrontation mit gefürchteten Situationen, um die Erfahrung zu sammeln, dass die gefürchtete Situation bewältigt werden kann (z.B. Sorgenkonfrontationen bei der Generalisierten Angststörung)
Erlernen von Entspannungsverfahren (z.B. Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training)
Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls
Soziales Kompetenztraining = z.B. Lernen seine eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren oder z.B. sein Recht durchzusetzen (z.B. bei der Sozialen Phobie)
Rückfallprophylaxe = Risikosituationen erkennen, Erarbeitung eines Krisenplans